Webdesign-


eine Podiumsdiskussion mit Prof. Dr.Dr. habil. Gandalf Mackenstrunz, Panatlantisch-Liberalistische Universität für Medien-Forschung (PLUMF), und Hinnerk M. Käsewitz, Psychiatrisches Universitätskrankenhaus München, Webdesigner und Internet-Künstler Moderation: Susanne Blahmann, Moderatorin der gleichnamigen Sonntags-Talkschau

Blahmann:"Sehr geehrte Professoren..."

Käsewitz: "Halten sie mich bitte nicht für kleinkariert, aber ich muß darauf hinweisen, daß ich in meiner wissenschaftlichen Laufbahn solche Titel niemals benötigt habe. Tatsächlich transzendiert meine Genialität akademische Hierarchien, sodaß ich auf akademische Würden nicht angewiesen bin. Und meine Professoren, die großen Vorbilder meiner Studienzeit, haben ebenfalls fast alle auf die kleinbürgerlichen Rituale sowohl einer Promotion als auch einer Hablilitation verzichtet. Praxis ist alles, was zählt! Und Genialität! Oder zumindest die Fähigkeit, einen genialen Eindruck zu machen. Hin und wieder."

Mackenstrunz: "Dem kann ich mich nicht anschließen. Angesichts der heutigen Akademiker-Schwemme erachte ich vielmehr vor der Habilitation die Zweit-Promotion als wichtiges Qualifikations-Element. Und ich stelle mir angesichts des Niveaus der deutschen Akademiker die Frage, ob eine einzelne Habilitation überhaupt ausreicht!"

Blahmann: "Sehr geehrter Herr Professor Dr.Dr. habil. Mackenstrunz, sehr geehrter, äh, Herr, Käsewitz, hiermit begrüße ich Sie zu unserer Podiumsdiskussion mit dem Thema "Webdesign im sozio-ökopathologischen Kontext der intellektuellen Evolution."

Käsewitz: "Moment mal, in der Ankündigung stand aber nur "Webdesign"!"

Blahmann: "Der Dozent für Kommunikationsdesign, übrigens von Ihrer Alma Mater, Herr Käsewitz, der unser Werbematerial gestaltet hat, wollte die schwierigen Wörter lieber weglassen."

  Käsewitz: "Ich hätte natürlich mit der, äh, ökotrophologischen Sozial-Kinetik der Ignoranz-Revolution keinerlei Probleme gehabt, das möchte ich gleich im Vorfeld klarstellen."

Mackenstrunz: "Wobei zum Thema auch zu hinterfragen ist, ob zwischen der intellektuellen Evolution und dem Webdesign überhaupt ein Zusammenhang besteht, und falls ja, ob die Evolution progressiv oder degressiv ist! Bereits mein Fund des berühmten Vivaldi-Videos auf einer handgeschnitzten Rosenholz-DVD aus dem 18. Jahrhundert in Venedig beweist, daß in den letzten Jahrhunderten im Bereich der neuen Medien kaum noch eine Evolution stattgefunden hat, auch wenn ich immer noch keinen kompatiblen Rokoko-DVD-Player gefunden habe, um das Ding abzuspielen. Und selbst die alten ägypter kannten schon das Internet. Beispielsweise wurde das Andenken an den Pharao Echnaton im Jahre 1347 v.Chr. nicht wegen religiöser, sondern wegen technischer Differenzen mit der Priesterschaft des Amun getilgt. Meiner neuen Übersetzung der Hieroglyphen-Funde in Achet-Aton zufolge ging es gar nicht darum, den Sonnengott anstelle der bisherigen Götter einzusetzen. Ich interpretiere die Schriften vielmehr so, daß Echnaton das altägyptische Internet auf frühe Sun-Rechner mit Solaris-Betriebssystem portieren wollte. Und wir wissen alle, wie Windows-gläubige Technologie-Priester in so einem Fall reagieren! Von Echnaton ist nicht einmal mehr eine Homepage überliefert."

Käsewitz: "Das ist doch ein hanebüchener, historisierender Unsinn, was Sie hier von sich geben. Jeder halbwegs gebildete Mensch weiß doch, daß das Internet 1968 erfunden worden ist."

Blahmann: "1969!"

Käsewitz: "Ich habe es 1968 erfunden, und hinterhältige amerikanische Plagiatoren haben meine Erfindung 1969 gestohlen! Das ist die historische Wahrheit, auch wenn sie in unserem Staat massiv unterdrückt wird."

Mackenstrunz: "Nun, es ist aber in der Geschichte der Wissenschaft oft vorgekommen, daß Erfindungen mehrmals gemacht worden sind. Nehmen wir zum Beispiel den Hubschrauber, von dem es bereits im China des 4. vorchristlichen Jahrhunderts Bilder gab. Vermutlich ist die chinesische Flugindustrie damals pleite gegangen, weil die Welt für diese Idee noch nicht reif war. In der Zeit der Renaissance tauchte die Idee bei Leonardo da Vinci wieder auf. Tragischerweise konnte er sie nicht am Technologie-Markt verbreiten, weil er keinen Internetprovider fand. Das habe ich aus einigen von mir übersetzten Inschriften auf leider etwas vom Holzwurm befallenen, dünnen Kiefernholz-Objekten, die ich bei Ausgrabungen in Genua fand und für eine frühe Form von Disketten halte, deduziert. Jetzt wissen wir endlich auch, woher der Ausdruck "Wurm" für Schad-Software auf Datenträgern herkommt.

Am Beispiel da Vincis sehen wir es: Die bedauerliche historische Fügung, daß er keinen Provider fand, hätte ja nicht stattfinden können, wenn es in der Renaissance-Zeit gar kein Internet gegeben hätte. Die Entdeckung von Plänen für dampfbetriebene Computer, die ich Leonardo zuschreibe, habe ich bereits publiziert. Auf den Plänen ist deutlich eine dünne Rohrleitung zu erkennen, die wahrscheinlich zu einem 56-KiloBit-Dampf-Modem für einen Internetanschluß führen soll."

Käsewitz: "Wenn wir das so betrachten, könnte ich mich Ihrem Standpunkt eventuell anschließen. Wie Sikorski und Co. den Hubschrauber, so habe demnach auch ich dann im zwanzigsten Jahrhundert etwas wieder erfunden: Das Internet. Ich möchte aber betonen, daß das meine völlig unabhängige Erfindung gewesen ist und mir weder das Internet der alten ägypter noch das WWW der Renaissance oder des Rokoko bekannt war."

Mackenstrunz: "Oder das des alten Rom! Leider erkennen immer noch zuwenig Historiker die Tatsache an, daß das gigantische römische Imperium ohne ein römisches Web als Kommunikationsmittel völlig unmöglich gewesen wäre. Allein daraus folgt schon die Existenz des antiken Internets."

Käsewitz: "Und wenn man sich einige moderne, blutrünstige Computerspiele ansieht, erkennt man deutliche Übereinstimmungen zu römischen Circus-Veranstaltungen. Diese Spiele sind eindeutig archaisch!"

Mackenstrunz: "Und da das neuzeitliche Windows bekanntlich unbegrenzt abwärtskompatibel ist, sind diese Spiele höchstwahrscheinlich sogar von einem hypothetischen römischen fenestrae-Betriebssystem überliefert, dessen Existenz logischerweise zu postulieren ist."

Käsewitz: "Und als das römische Reich dekadent wurde,....

Blahmann: "Weil die Römer nur noch vor ihren Computern hockten?"

Mackenstrunz: "......und germanische Hacker in ihre Systeme eindrangen- immerhin hatte das römische fenestrae zum heutigen Windows 1500 Jahre Entwicklungsrückstand, man stelle sich mal die Sicherheitslücken vor, -stürzten ihre Webserver nach und nach ab......."

Käsewitz: "......und das finstere Mittelalter begann!"

Blahmann: "Und wie ging es weiter?"

Mackenstrunz: "In den folgenden Jahrhunderten wurde die Entwicklung des Webdesigns von mehreren Einflüssen geprägt: Zum einen von der Inquisition. Ganz klar, daß diese Institution nicht nur Bücher verbrennen ließ, sondern auch möglicherweise ketzerische Websites gesperrt hat. Vielleicht stand sogar das ganze Internet auf dem Index."

Blahmann: "Wie wollen Sie das beweisen?"

Mackenstrunz: "Es ist kein einziger PC aus dem Mittelalter überliefert. Folglich muß die Inquisition fast alle Rechner zerstört haben. Höchstwahrscheinlich sind die wenigen übrig gebliebenen einfach, weil sie veraltet waren, während der Renaissance als Elektronikschrott entsorgt worden."

Käsewitz: "Und wahrscheinlich sind während der Renaissance auch fast alle Websites relauncht worden. Damit hätten wir dann die Erklärung, warum es keine mittelalterlichen Websites mehr gibt."

Mackenstrunz: "Ein entscheidender Einschnitt bei der Nutzung des Internets nach der Renaissance ergab sich während des Barock. Weil es damals wohl noch keine DSL-Technologie gab, steigerten sich durch die barocke Ornamentik der damaligen Websites die Ladezeiten dermaßen, daß die Nutzung teilweise unmöglich wurde. Hinzu kommt, daß im dreißigjährigen Krieg wahrscheinlich auch die Netzwerk-Infrastruktur stark gelitten hatte."

Käsewitz: "Und durch den fortschreitenden Zerfall eines Teils Europas in kleine Fürstentümer wurde sie auch nicht wieder aufgebaut. Größere nationale und internationale Konflikte- man denke an die französische Revolution und die napoleonischen Kriege -sorgten zusätzlich dafür, daß das Internet weitgehend in Vergessenheit geriet. Bis ich es dann im Jahre 1968 nochmals erfand, wie ich hier in aller Bescheidenheit erwähnen möchte."

Mackenstrunz: "Ich erinnere mich an das tragische Schicksal meines Ur-Urgroßvaters. Als einer der wenigen deutschen Webdesigner der Gründerzeit war er vom Abschluß seiner Lehre 1871 bis zur Rente 1921 arbeitslos, genau wie Generationen von Webdesignern vor ihm. Praktisch alle neo-gotischen, Jugendstil- und Art-Deco-Webdesigns sind der Menschheit unwiderbringlich verlorengegangen, weil seit der Biedermeierzeit niemand mehr surfte."

Blahmann: "Mit so umfassenden historischen Einsichten hatte weder ich, noch hatten die Zuschauer dieser Podiumsdiskussion damit gerechnet. Aber ich denke, wir sollten jetzt auf Webdesign im sozio-ökopathologischen Kontext der intellektuellen Evolution kommen, wie es eigentlich vom Veranstalter gedacht war, also in der Zeit, nachdem Hinnerk Maria Käsewitz 1968 das Internet neu erfunden hat. Dafür möchte ich ihm noch unser aller Dank aussprechen."

Mackenstrunz: "Auch ich danke an dieser Stelle meinem Kollegen Käsewitz dafür, daß er der Menschheit das Internet, diese großartige Technologie der klassischen Antike, wiedergegeben hat.

Die Frage zum Thema ist zunächst, ob man eigentlich von einer intellektuellen Evolution reden kann, und falls ja, in welche Richtung sie gegangen ist. Während eines Evolutionsprozesses können sich Dinge ja auch zurückbilden- wir haben das beim Internet der Antike und des Mittelalters bereits gesehen. Und bei der  intellektuellen Evolution der letzten Jahrzehnte hat sich meiner Meinung nach eine Rückbildung des Intellekts an sich durchaus bemerkbar gemacht."

Käsewitz: "Es stimmt. Das Internet wird zum Tummelplatz für Doofe. Fast ist es mir peinlich, es erfunden zu haben. Früher konnte man das Internet nur über eine nicht-grafische Benutzeroberfläche erreichen, und man mußte ein Minimum an Programmierbefehlen beherrschen.  Dann erfand ich HTTP und WWW, und alles wurde bunt, und graphische Browser kamen auf, mit denen jeder, der eine Maus bedienen konnte, surfen konnte. Der Beginn eines geistigen Niedergangs, wie ich leider zugeben muß. Nun, zunächst verhinderte ich mit der Erfindung der Programmiersprache HTML das Schlimmste. Wer Webdesign machen wollte, mußte wenigstens die, wenn auch relativ simplen, HTML-Befehle kennen, selbst wenn ein Editierprogramm benutzt wurde. Doch dann führten menschenverachtende Werbe- und Design-Agenturen etwas ein, das das Internet auf den zivilisatorischen Standard des alten Roms zurückfallen ließ. Hochqualifizierte Informationstechnologen wurden von ihnen zu Programmiersklaven gemacht. Von Designern geknechtet, die selbst nicht eine einzige Zeile Code zustandebringen könnten- und sei es "Echo: "Hello World!"" –werden diese bemitleidenswerten Existenzen gezwungen, auch die ödesten Designs und den geschmacklosesten kommerziellen Mist ins Internet zu kübeln."

Blahmann: "übertreiben Sie da nicht ein wenig? Immerhin hat es doch auch Entwicklungen gegeben, die allen Nutzern erlauben, ohne Programmierkenntnisse Sites zu bauen, zum Beispiel das Programm Flatsch oder wie das heißt fürs Webdesign und Systeme für Content-Management."

Käsewitz: "Aber jeder, der es mit Flatsch oder wie das heißt versucht, schreit spätestens, wenn er sein Design nicht mehr ohne die Flatsch-Programmiersprache äckschn Script machen kann, nach einem Programmierer. Und die Content-Management-Systeme haben sogar die meisten Webdesigner selbst zu einer neuen Gruppe von Unterdrückten gemacht."

Blahmann: "Wie das?"

Mackenstrunz: "Sozio-ökopathologisch betrachtet führt die Existenz von Content-Management-Systemen zu einer vierstufigen Hierarchisierung der Website-Produzierenden. Die unterste Stufe dieser Hierarchie sind die rechtlosen Schreibkräfte, die über vorgefertigte Menues des CMS Text in fertige Seiten eingeben. Darüber stehen die Programmierer, die Geschmacksmuster für das CMS programmieren und damit die Form der Seiten nach Vorgabe mehr oder minder begabter Webdesigner definieren und neue Seiten hinzufügen.

Was die Webdesigner als frühere Höchststehende der Hierarchie nicht bemerkt haben, ist ihre eigene Versklavung durch das CMS. Als neuer Big Boss fungieren nämlich- und das bezeichnen wir als die Rache der Programmiersklaven -die Programmierer des CMS. Denn dieses reduziert Design auf eine Füllung rechteckiger, vorgegebener Container. Die wichtigste Entscheidung des Webdesigners ist, ob die Website drei oder vier Spalten haben soll. Danach darf er sich noch ein bißchen mit der Gestaltung von Navigationsmenues und Grafiken vergnügen, und mit der Frage, wo das Firmenlogo hingeklatscht wird."

Käsewitz: "Es ist abzusehen, daß eine automatisierte Websitegenerator-Software, die dem Eigentümer einer Website die begrenzte Anzahl der möglichen Kombinationen von Spaltenzahl, Plätzen fürs Logo, Corporate-Identity-Farben und -Navigationsmenues innerhalb des CMS anklickbar vorführt, Webdesigner weitgehend überflüssig machen wird. Das ist die industrielle Revolution des Webdesigns."

Blahmann: "Und was halten Sie als Internet-Künstler und Webdesigner von dieser Entwicklung?"

Käsewitz: "Ich finde es unerträglich! Man reiche mir ein Laptop!"

Blahmann: "Und dann?"

Käsewitz: "Lösche ich das Internet! Denn ich kenne das geheime Paßwort!"

Mackenstrunz: "Der Käsewitz hat es gegeben, der Käsewitz hat es genommen."

Blahmann: "Ein schönes Schlußwort für die Podiumsdiskussion "Webdesign im sozio-ökopathologischen Kontext der intellektuellen Evolution". Wir beenden hiermit die Diskussion und die Existenz des Internets und wünschen Ihnen einen sch¨nen Abend."



©Bernd Papenfuß