Die CeByte-Nachlese



Wie jeder, der in der in letzter Zeit leider etwas auf den Hund gekommenen Informationstechnologie-Branche etwas auf sich hält, beehre auch ich die diesjährige CeByte mit meinem Besuch und schlendere durch die heiligen Hallen der Informationstechnologie-Innovation.

Leider gelingt es mir nicht, den Wächtern am Eingang mein innovatives Konzept einer Drive-in-Ausstellung zu vermitteln, obwohl das Auto schon halb unter der Schranke durch ist. Deshalb sehe ich mich gezwungen, meinen Mini im Foyer zu parken. Immerhin ist er dort gut beaufsichtigt. Platz für ein Drive-in wäre angesichts der Besucherzahlen jedenfalls gewesen. Vor dem Eingang haben sich aber eine ganze Menge Bettler versammelt: Letztes Jahr noch als Projektmanager der New Economy drinnen, heute draußen. Hier einige Tips zur Unterstützung. Immerhin habe ich als Absolvent des dualen Bildungssystems- erst Universitätsstudium, dann Fortbildung durchs Arbeitsamt -auch mehrere Kommunikationstrainings hinter mir. Eine Designer-Kutte bringt es beim Betteln nicht. Es ist nicht entscheidend, die Zielgruppe durch Outfit zu beeindrucken. Ebenso ist zu bezweifeln, daß Schilder wie "Tierfreunde! 50 Euro für Sprit, denn mein Jaguar hungert!" oder "Leerer Magen- seit gestern weder Kaviarbrötchen noch Champagner- ein Hunnie gegen den Hunger! Denkt grün!" bei der Zielgruppe den gewünschten Cashflow generiert. Es ist nicht angebracht, sich mit einem gespendeten Fünf-Euro-Schein eine Zigarre anzuzünden. Nutzen Sie Ihre im Beruf erworbenen fachlichen und kommunikativen Kompetenzen! Besser ist schon die Idee eines anderen von mir beobachteten Schlipsträgers, gegen eine Spende Auswege aus den Bedienungs-Menues von Handys zu suchen. Ein etwas verwirrt aussehender Typ bietet an, gegen Honorar jeden Computer zu hacken; dem Vernehmen nach ein OS-X-geschädigter Macintosh-Programmierer. Er hat allerdings eine Axt neben sich liegen. Ich denke aber, daß sich auf Dauer auch bei solchen Ich-AGs nur qualitativ hochwertige Dienstleistungen durchsetzen werden.

Nun, nachdem ich die Eingangsschranken überwunden habe- es gibt noch ein weiteres kleines Mißverständnis, als von der Kasse ein barsches "Fünfzig Euro!" ertönt und ich sage, "Na gut", und die Hand aufhalte, betrete ich die Hallen mit dem deutlich gelichteten Bestand an Ausstellern.

Schon am ersten Messestand erreicht mich ein Hilferuf. Eine Messe-Besucherin bittet mich: "Könnten Sie bitte mal einen Sanitäter suchen?" Klar. Ich mußte zwar nach Differenzen mit einigen kleinkarierten Mitgliedern der Ärztekammer Gehirnchirurgie als Hobby aufgeben, bin aber immer bereit, in akuten medizinischen Notfällen erste Hilfe zu organisieren. Der Sanitäter setzt routiniert- "schon fünfundzwanzig Patienten heute" -eine Art Luftpumpe an ihrem linken Ohr an, und aus ihrem rechten Ohr fliegt mit hoher Geschwindigkeit ein etwa bohnengroßer Gegenstand. Sie macht sich mit einem hastig hingeworfenen "Danke" davon. Der offensichtliche Grund für ihren schnellen Aufbruch, ein untersetzter, asiatisch aussehender Herr, nähert sich mit breitem Grinsen und den Worten "Sumo Kasawaki, Hatitschi!" Mein freundliches: "Gesundheit!" wird mit "Nein, nein, Hatitschi Electronics, einer der größten japanischen Mikroelektronik-Konzerne!" erwidert. Weltmännisch grüße ich daraufhin in fließendem japanisch: "Einen schönen guten ohaia gozaimas auch!" "Wie ich sehe, haben Sie schon unser neuestes, mikrominiaturisiertes Handy bemerkt." "Im freien Flug, sozusagen. Aber das Format hat ja doch gewisse Nachteile. Diese Handys gehen bestimmt andauernd verloren, außerdem bleiben sie leicht im Ohr stecken." "Angesichts der zunehmenden Verkleinerung der Handys hat sich Hatitschi mit diesem Modell an die Spitze der technologischen Innovation gesetzt. Weil Handys dieser Größe so leicht verloren gehen, liefern wir sie in Zwölfer-Packs geblistert." Ach so. Sieht aus wie eine Packung Medikamente. Ich empfehle, die Verpackung mit einigen Warnhinweisen zu ergänzen: "Falls Sie Stimmen hören, vergewissern Sie sich, daß Sie Ihr Handy aus dem Ohr genommen haben. Falls Sie kein Handy mehr im Ohr haben, fragen Sie Ihren Arzt oder Psychiater nach einer Behandlung gegen Schizophrenie. Diese Handys dürfen nicht innerlich oder als Zäpfchen angewendet werden!" Mit einem Beratervertrag in der Tasche schlendere ich weiter.

Der Trend bei Computern liegt eindeutig im Ausbau zum Multimedia-Center. Das hat einfach den Grund, daß der Verbraucher keinerlei Interesse mehr für rein Computer-technische Verkaufsargumente aufbringt: Ein noch schnellerer Gigaherz-Prozessor entlockt dem abgefuckten Konsumenten nur noch ein Gähnen. Heute noch die Sensation in der Fachpresse, morgen schon das Sonderangebot bei Knalli-Food-Discount. Heute muß ein Computer fernsehen können, CDs und DVDs in HiFi und mit höchster Bildqualität abspielen und an jeder MP3-Börse im Internet hängen. Dann kann man nämlich seine Glotzkiste und die Stereoanlage entsorgen und muß beim nächsten Modellwechsel nur noch ein Gerät, nämlich den Computer, verschrotten. Sehr ökologisch. Bei einigen Herstellern kommt bereits ein integriertes Kühlfach plus Mikrowelle und Geschirrspül-Automat zum Multimedia-Center hinzu; ein wichtiger Schritt zur computerbasierten Vollversorgung.

Auch bei den Computer-Nutzern gibt es einen neuen Trend: Nachdem der Markt bei den jugendlichen bis mittelalten Usern allmählich gesättigt ist und die sich sowieso hauptsächlich bei Knalli-Food-Discount mit Hardware versorgen und Software-Raubkopien verwenden, versuchen Hard- und Software-Anbieter, die Senioren zu Hackern und Surfern zu machen. Wie ich beim Besuch der Game-Anbieter-Stände feststellen kann, gilt das auch für Computerspiele. Bekannte Action-Games werden auf die neue Zielgruppe zugeschnitten. Bestes Beispiel ist die berühmte Action-Heldin Lalla Crotz. Die Herstellerfirma hat zunächst das alte Computerspiel Tombstone Raider vom Markt genommen, weil der Titel bei der neuen Zielgruppe unangenehme Assoziationen wecken könnte. Jetzt kommt neu Seniorenheim Raider, das sechzig Jahre nach den bisherigen erfolgreichen Games spielt. Eine weißhaarige, aber von sonstigen Unbilden des Alters und der Schwerkraft erstaunlich verschont gebliebene Lalla Crotz kämpft sich voller Energie durch die verschiedenen Levels des Seniorenheims und erledigt schließlich den Heimleiter, der sich der dunklen Seite der Pflegeversicherung verschworen hat, mit dem auf dem vorigen Level gewonnenen magischen Krückstock.

Ein weiterer Trend ist das mobile computing. Nachdem Knalli und Didel-Food-Discount bereits seit mehreren Jahren Laptops anbieten, hat jetzt die innovative Avantgarde-Firma Mäcäppeltosh den Trend als erster Anbieter von Mäcäppeltosh-Rechnern erkannt und deshalb 2003 zum Jahr des Laptops erklärt. Außerdem lenkt das von der Tatsache ab, daß die immobilen Mäcäppeltosh-Rechner nicht nur teurer, sondern auch langsamer als die Konkurrenzprodukte sind. Die Mäcappeltosh-Laptops sind dagegen außerordentlich schnell; neulich hat eines sogar die Schallgeschwindigkeit überschritten. Es befand sich im Gepäckraum einer Concorde. Nun, ich teste mal das C4-Osmium-Book für 6000Euro. Ja, sehr edel. Mit dem neuen UNIX-basierten System stürzt es zwar häufig ab, läßt sich aber recht schnell neu starten. Die UNIX-Festplatten-Reparaturroutine fsck putzt dann fünf Minuten die Platte, und die Daten sind wieder wie neu; jedenfalls die, die vor dem Absturz schon gespeichert waren. Nur mit dem Zusammenfalten gibt es wieder das alte Problem. Es knirscht, knackt, und dann brechen sogar Stücke aus der Osmium-Plastikhülle. Der Monitor bekommt Risse, und die Knöpfe fallen aus der Tastatur. Eine Mäcäppeltosh-Stand-Betreuerin schreit: "Monitor und Tastatur nach innen falten!" Zu spät. Ein kleiner Fehler des Benutzers, und schon hat das Laptop einen Totalschaden. Durch diese mangelhafte Benutzerfreundlichkeit zeichneten sich bereits mehrere von mir getestete Laptops aus. Das Konzept des Laptops an sich hat offensichtlich noch nicht die endgültige Reife erreicht. Bedauerlich, daß diese unausgegorene Technologie millionenfach verantwortungslos an nichtsahnende Nutzer verkauft wird.

Auch bei Software gibt es Nischen-Anbieter im Trend. Ich greife mal willkürlich ein Beispiel heraus: Die Firma Mach-Platt-Ericksson. Der Chefprogrammierer und- zusamen mit Gottfried Mach und Heribert Platt -gleichzeitige Firmen-Inhaber, Leif Ericksson persönlich, klärt mich über Art und Nutzen seiner Software auf: "Ericksson Re-Port ist eine Hochschul-Rationalisierungs-Software. Sie generiert aus einer Datenbank zufallsgesteuert statistisch-wissenschaftliche Rationalisierungs-Argumente zur Einschränkung von Bildungsangeboten bis hin zum Schließen ganzer Hochschulen durch Fusionierung mit anderen Bildungseinrichtungen. Endziel bei der Anwendung ist die Fusion sämtlicher deutscher Hochschulen und Universitäten in einer einzigen Bildungseinrichtung, der Vereinigten Deutschen Gesamt-Universität. Das ist rationeller und billiger als die heutige Vielfalt. Und unser Programm bietet sogar die ultimative Lösung aller Bildungs-Finanzierungsprobleme!" Mit einem hämischen Kichern ruft er an einem mattschwarz lackierten PC mit Flammen-Dekor sein Programm auf. Er gibt ein: "Vereinigte Deutsche Gesamt-Universität." Und klickt dann auf "Rationalisierungs-Argument". Auf dem Bildschirm erscheint die Botschaft: "Diese Bildungseinrichtung führt keinerlei Kooperationen mit anderen inländischen Hochschulen durch! Empfehlung: Schließen!" "Damit wären dann sämtliche finanziellen Probleme im Bildungs-Sektor durch Wegfusionierung gelöst. Aber das ist noch Zukunfts-Musik. Wollen Sie das Programm einmal ausprobieren?"

Aber klar doch. Als innovations-aufgeschlossener Mensch setze ich mich an die mattschwarze Höllenmaschine und gebe ein: "Hochschule für Kunst, Design und Architektur." Auf dem Bildschirm erscheint folgende Botschaft: "Der Studiengang Architektur dieser Hochschule hat niemals irgendwelche Beiträge zur Quantenelektrodynamik geliefert. Empfehlung: Schließen des Studiengangs und Verlegung zur nächstliegenden Hochschule für Bauwirtschaft." Frohlockend der stolze Firmengründer: "Mit dieser Subroutine hat mein Papi- der nutzt das Programm beruflich -erst neulich eine Hochschule in Norddeutschland fertig gemacht. Zuhause nennen wir ihn nur noch den Architektur-Terminator." Mit einem freundlichen "Hasta la vista, Baby!" verabschiede ich mich von diesem erfolgreichen Software-Nischenanbieter.

Ich denke, dieser Besuch der CeByte hat einen hervorragenden überblick über die neuesten Trends in Hard- und Software gebracht. Das wichtigste ist und bleibt, das Zeug schnell zu kaufen, bevor es wieder völlig veraltet ist. Das dürfte etwa nächste Woche der Fall sein.

Bernd Papenfuß