Burn the road!



Das EDV-Zentrum testet ein mobiles Computersystem
Es klingelt. Vor der Tür steht ein Krawattenträger, der mich mit dem Namen meines Nachbarn anspricht und fortfährt: "Ja, er steht dann vor Ihrer Einfahrt. Das neueste Modell. 79000 Euro. Testen Sie ihn gründlich. Das letzte Update mit ABS, DSC, PDC, RDC und SIPS. Außerdem natürlich Egg-Drive und GPS-basiertes SNS. Selbstverständlich HiFi-System plus DVD-Video und 156KBit Internet-Zugang. Hier gebe ich Ihnen die Entry-Control-Unit. " Will der Typ ausgerechnet bei mir mit Fachausdrücken Eindruck schinden. Als EDV- und Netzwerkspezialist kenne ich nicht nur alle, sondern habe schon eine ganze Menge neue selber erfunden. Ich gebe ebenfalls einige zum Besten, damit er merkt, daß sein Computersystem -um etwas anderes kann es sich ja bei der Flut von Abkürzungen für eingebaute Elektronik nicht handeln, obwohl die Entry-Control-Unit irgendwie an einen Auto-Türöffner erinnnert- kompetent getestet wird: "Mit einem CRC wird es hoffentlich keine Probleme geben, das Ethernet geht ja wohl mit CSMACD über NIC, PCMCIA, oder WLAN. Kann man Mails in diesem System auch mit PGP kodieren? Und DVD-Video macht ja wohl nur Sinn mit mindestens 19 Zoll. Hat er für die Grafik AGP und schon die neue Quartz-Engine?" "äh, Hmmmm, weiß ich alles nicht, aber 19-Zöller hat er sogar fünf, dreiteilig, Alu." "Na ja, wenigstens etwas. Ich sehe mir das auf jeden Fall mal an." Unser Verkäufer macht sich etwas angeschlagen vom Acker.

Ich begebe mich nach draußen, um mir das Computersystem mit den vielen Abkürzungen mal in Ruhe zu betrachten. Um es 'reinzubringen, werde ich mir wohl sowieso eine Schubkarre holen müssen: Fünf 19-Zöller, man kann wirklich alles übertreiben. Vor der Hecke erwartet mich eine skurrile überraschung: Das Computersystem steckt offensichtlich in einem etwa fünf Meter langen Gehäuse, das stark einer großen Auto-Karosserie ähnelt, aber wesentlich häßlicher ist. Fies glotzt es aus der Wäsche, zwei verkniffene Doppelscheinwerfer flankieren einen Kühlergrill, der eine gewisse ähnlichkeit mit einem Schweinerüssel nicht verleugnen kann. Der Kofferraumdeckel sieht aus, als ob beim Design mit einem Hackebeilchen gearbeitet worden ist. Das ganze hockt auf der Straße wie ein kampfbereiter Sumo-Ringer. Vielleicht ist es vom Hersteller als Auto gemeint, aber egal: Dieses Blech ist die Verkleidung für einen Riesenhaufen Mikrochips. Ich sehe das als einen Mobil-Computer mit Peripherie-Geräten. Das Zeug, das noch am Computer dranhängt, teste ich einfach mit. -Mit 19-Zöller meinte unser Marketing-Profi wahrscheinlich die Räder, innen ist jedenfalls kein 19-Zoll-Monitor zu sehen. Ins linke vordere Seitenfenster des Gehäuses linsen ein jugendlicher Computerfreak und ein älterer Herr. Letzterer empfängt gerade die ersten Weihen des Hackertums: "Ey Opa, mach hier ma nich die Party. Verarschen kann ich mich alleine. Das heißt nich 300 Stundenkilometer, sondern 300 Megabyte. Abgefreakt, ey: Analoge Arbeitsspeicher-Anzeige! Und daneben noch so´n Teil für den Speicherplatz auf der Festplatte! "

Damit die Leute merken, wer hier der Tester ist, werfe ich lässig die Entry-Control-Unit hoch. Pling, Platsch. Eigentlich hätte sie in meiner Hand landen sollen und nicht im Gully. Macht aber nichts. Ich ziehe den Türöffner meines Mini. Seit ich den öffner aufgrund gewisser Elektronik-Probleme mit einer Taschenlampenbatterie und einem leicht modifizierten PowerPC-603-Chip bestückt habe, sendet er ein Breitband-Signal, das im Umkreis von zwei Kilometern sämtliche Zentralverriegelungen und Wegfahrsperren kurzschließt und zum Teil sogar gleich noch Motoren startet. So auch hier: Vier Türen im Gehäuse gehen auf, ein Motor springt an. Es handelt sich sogar um einen V8, der für meinen Geschmack aber viel zu leise ist. Offensichtlich kein Big Block, sondern ein Mouse Engine mit deutlich unter sieben Liter Hubraum. Trotzdem ist das für den Transport eines Computers sicher irgendwie übertrieben. Ein normales PC-Gehäuse mit Röllchen hätte es wohl auch getan.

Innen empfängt mich das heute übliche teure aber geschmacksarme Luxus-Ambiente, das man in vielen Autos findet: Ledersitze, deren Oberfläche nicht den Eindruck macht, als ob sich beim Hacken produzierte Matschpizza- und Colaflecken mit einer durchgebrochenen CD einfach wieder abkratzen lassen, und Holzfurnier, soweit das Auge reicht. Form follows looking expensive. Hoffentlich schlägt das Furnier keine Wellen, wenn man Energy-Drinks darüber verschüttet. Peinlich wirkt in diesem kostspieligen Umfeld der mickrige Monitor, der zwar etwas größer als ein WAP-Handy- Display, aber kleiner als ein Zwölfzöller ist. Bei dieser für ein Computersystem so wichtigen Komponente ist in unverantwortlicher Weise gespart worden. Eine vernünftige Tastatur und eine Maus sucht man ebenfalls vergeblich. Stattdessen prangt auf der Mittelarmlehne ein verchromter DrehDrückZiehSteller.

Die Anordnung der Sitzplätze ist sehr unergonomisch. Die hinteren haben keinen Zugriff auf Steuerungselemente des Computers, die vorderen sind nicht vor dem Monitor, sondern rechts und links davon angeordnet. Vor dem linken vorderen Sitzplatz befindet sich ein Lenkrad mit mehreren kleinen Knöpfen, die aber keine wichtigen Funktionen des Computers steuern. Bei den Analoginstrumenten hinter dem Lenkrad scheint es sich doch um einen Drehzahlmesser und einen Tacho zu handeln. Der Schriftzug "Air Bag" auf dem Lenkrad zeigt uns, daß hier eine nette Idee realisiert wurde: Ein pneumatischer Mülltüten-Spender. Jetzt weiß man doch endlich, wohin beim Hacken mit den leeren Junk-Food-Verpackungen, vorbei ist die Zeit des nachlässigen über-die-Schulter-Werfens. Leider ist die Idee nicht ganz optimal realisiert. Der Mechanismus ist äußerst schwergängig; die Mülltüte wird erst nach einigen heftigen Faustschlägen und mehreren Fußtritten gegen das Lenkrad ausgeworfen. Es knallt dabei laut. Außerdem hat die Tüte kein ausreichend großes Loch, um Müll hineinzuwerfen. Der Spender scheint nur eine einzige Tüte zu enthalten.

Wechseln wir mal von der Peripherie zum wirklich Interessanten, der Rechner-Einheit. über die Bedienungs-Probleme mit dem mickrigen Monitor und dem eigentümlichen DrehDrückZiehSteller- war das der vom gestreßten Verkäufer erwähnte Egg-Drive?- habe ich schon berichtet. Offensichtlich ist das System für jede Art High-End-Nutzung, zum Beispiel Grafik-Bearbeitung oder CAD, total ungeeignet. Auch die Bestückung mit Software ist bescheiden. Das Betriebssystem erinnert an eine Beta-Version von Windows 1.0. Das User-Interface eröffnet aber keine Möglichkeit zur Arbeit mit Anwendungs-Software, sondern gibt nur Drag- and- Click-Menues für triviale oder unbrauchbare Unterfunktionen frei. Wozu will das System einen denn zum Beispiel über den momentanen Kraftstoffverbrauch informieren? Wenn ich Matschpizza brauche, bekomme ich doch von selbst Hunger. Auf dem System ist nicht mal das sonst allgegenwärtige MS-Office installiert. Selbst ein einfaches Malprogramm wie MS Draw sucht man vergeblich. Beim Preis von 79000 Euro ist das ein skandalös schlechtes Preis-Leistungs-Verhältnis: Ein weit besserer Office-PC ist heutzutage schon für unter 1000 zu haben!

Zum Trost für diese Enttäuschung widme ich mich jetzt noch den undokumentierten Funktionen des Systems, die sich dem Normal-User nicht erschließen, aber für den versierten Computerfreak oft eine Fülle überraschender und interessanter Nutzungsmöglichkeiten eines Computers offenbaren. Ich wende hier einen Trick an, den ich einigen der größten Computer-Gurus abgeschaut habe und der schon so manches PC-Betriebssystem geknackt hat. Ich gebe also ein -mit dem Egg-Drive ist das recht umständlich: "Show undocumented Functions!" Es erscheint ein Untermenue mit dem üblichen "Access Bill Gates' bank account", dazu "ESS" und "SDS". Da immer wieder Gates Bankkonto einfach zu langweilig ist, wähle ich "ESS". Es knallt noch lauter als beim Betätigen des Mülltütenspenders, der rechte Vordersitz löst sich aus seiner Verankerung und fliegt gegen das Dach, dort und im Interieur intensive Verformungsarbeit leistend. Ach so, ESS heißt Ejector Seat System, Schleudersitz. Wie bei James Bond. Nur ging bei dessen 63iger Aston Martin vorher eine Klappe im Dach auf. Immerhin haben sich jetzt rechts noch eine große und vor den Fenstern sowie in den Türverkleidungen mehrere kleine Mülltüten geöffnet. Ich tauche aus meiner Deckung vor dem linken Vordersitz wieder auf. Als Computer-Tester braucht man gute Reflexe. So, jetzt noch das SDS. Eine sympathische Frauenstimme ertönt: "Vielen Dank für die Benutzung des SDS, Self Destruction System. Selbstzerstörung in 30 Sekunden........29 Sekunden.........". Zeit, den Test zu beenden. Ich evakuiere mich und einige umstehende Zuschauer 50 Meter weit aus der Gefahrenzone. Die folgende Explosion ist pyrotechnisch durchaus eindrucksvoll, nach einem kräftigen "Bumm" und einer hohen Stichflamme brennt das Computergehäuse in wenigen Minuten völlig aus.

Nun, auch dem verbohrtesten Computerfreak wird es wohl einleuchten, daß ein effektiver Selbstzerstörungsmechanismus allein kein Kaufargument für das getestete Computersystem sein kann. Der positiv zu wertenden Schnellentsorgung -wobei allerdings eine ganze Menge nicht brennbare Reste übrig bleiben, es handelt sich hier also nicht um ein System mit guter Auflösung- steht ein geradezu katastrophales Preis-Leistungs-Verhältnis gegenüber: Das System kostet soviel wie mehrere High-End-Rechner zusammen, leistet aber kaum mehr als ein Taschen-Computer. Ich denke, daß vom Kauf dieses Systems nur abgeraten werden kann. Die angeblich vorhandene Peripherie-Funktion "Fahren" konnte zwar nicht getestet werden, hätte aber an dieser Bilanz nichts ändern können.

Bernd Papenfuß

PS: Die Weigerung der Automobilindustrie, mir weitere mobile Computersysteme als Test-Objekte zur Verfügung zu stellen, muß ich in diesem Zusammenhang schärfstens verurteilen.