Die Sommer-Reise



Viele Leute fragen sich, was der Leiter des Muthesius-EDV-Labors denn eigentlich im Urlaub macht. Voll im Trend, habe auch ich eine themenorientierte Sommer-Reise absolviert. Um der jährlichen nach-Urlaubs-Inquisition zu entgehen, hier mein diesjähriges Urlaubs-Travel-Log:

12.August: Die einwöchige Feier anläßlich meines Geburtstags ist vorbei. Wenn schon Party, dann auch richtig. Ich plane nach der Feier eine Sommer-Reise zu den Internet-Gurus der Welt mit Interviews zum Thema: "Wohin geht das Internet? Der Cyberspace: Des Wahnsinns fette Beute?"

Ich sehe gerade einen Nachbarn neben einem Polizeiwagen stehen und auf mich zeigen. Ein optimaler Zeitpunkt für den Aufbruch. Ich steige in den Mini und gebe Gas.

13.August, München Universität: Aufgrund des ewigen Parkplatzmangels binde ich den Mini mit einer Hundeleine in der Nähe des Eingangs beim Schild "Hunde müssen draußen bleiben" fest: In Bayern klappt soetwas meistens.

Ich habe mich schon ein wenig gewundert, daß der große Internet-Künstler Hinnerk-Maria Käsewitz - dem einen oder anderen sicher schon aus der Medienwerkstatt-Künstlerbiografie bekannt -als Adresse das Psychiatrische Universitätskrankenhaus angegeben hat. Die Wärter reagieren merkwürdig, als ich ihnen meine Interview-Absicht mitteile: "Na denn viel Spaß bei Hannilein! Seit er diese Psycho-Thriller gelesen hat, ist Käsewitz nicht mehr der alte!"

Hannilein? Als ich die dick gepolsterte Tür durchschreite, sehe ich, wie Hinnerk-Maria Käsewitz schnell eine unförmige Maske abnimmt, die wohl Mund und Nase bedeckt hatte.

"Moin Hinnerk!"

Er antwortet: "Eines muß ich zuvor verlangen: Quid pro quo!"

Ich: "Na gut. Ich habe dir guten Morgen gesagt, jetzt sagst du mir guten Morgen."

"Guten Morgen!"

"Ich wollte dich eigentlich zum Thema "Wohin geht das Internet? Der Cyberspace: Des Wahnsinns fette Beute?" interviewen, aber...."

"Meine Erfindung- sie haben mir meine Erfindung gestohlen!"

"Deine Erfindung?"

"Das Internet! Aber ich werde sie bestrafen! Einen habe ich schon erwischt, als ich noch in der offenen Therapiegruppe war. Alfred Bommel, unseren alten Informatik-Prof. Ich habe mit ihm ein kleines Picknick veranstaltet: Sein Toupet geklaut und es an seinen Dackel verfüttert."

Der clevere Waldi fraß das Toupet aber nicht und gab stattdessen Laut, was die einige Ordnungshüter auf den Plan rief.

"Und seitdem die Zelle mit den geschmackvoll abgesteppten, dicken Wandverkleidungen. Deinen Computer haben sie dir dann wohl auch weggenommen."

"Zuerst nicht. Aber dann ist er dreimal hintereinander abgestürzt. Offensichtlich war er an der Verschwörung gegen mich beteiligt. Ich verzehrte seinen Hauptprozessor zu einem exquisiten 1963er Chateau Mouton Rothschildt."

Hauptsache, es schmeckt. "Tja, denn weiter guten Appetit! Tschüß!"

Ich verlasse die Klinik. Nächste Station: Der Vatikanstaat. Die Kirche plant eine sensationelle Internet-Reformation. Das paßt doch zum Thema.

14.August, Österreich, somewhere on the road: Doof, daß man trotz der Spende för eine Autobahnvignette die ganze Zeit nur 130 fahren darf. Wenn man dauernd im zweiten Gang bleiben muß, schluckt der Mini nämlich verdammt viel Öl. Wieso heißt ein Paß, auf dem nur 120 erlaubt ist, eigentlich Brenner? Und weshalb hält sich diese geschmacklos zweifarbig lackierte Behördenkalesche, die schon seit zwanzig Kilometern hinter mir herfährt, nicht an die Geschwindigkeitsbegrenzung?

15. August, Italien, somewhere on the autostrada: Was in Italien echt nervt, ist die Pizza-Reklame. Auf der Autobahn fahren dunkelblaue Alfa Romeos mit eingeschaltetem Blaulicht und der Aufschrift "Pizzeria Stradale". Wenn man sie überholt, schalten sie eine Sirene ein und verfolgen einen kilometerweit. Echt aufdringlich. Kaum abzuhängen. Die arbeiten teilweise sogar mit Straßensperren.

17. August, Italien, Vatikanstaat: Ich habe einen Termin im Petersdom. Wegen des ewigen Parkplatzmangels in der ewigen Stadt parke ich den Mini dicht an der Wand und hoffe, daß er für ein spätbarockes Dekorationselement gehalten wird.

Eine schwarz gewandete Dame begrüßt mich: "Hallo, ich bin Schwester Eulalia."

"Hallo. Einen geschmackvollen Faltenwurf tragen Sie da spazieren."

"Ja, das sind die neuen vatikanischen Designer-Kutten. Ein Bestandteil unserer Aktion zur Verbesserung des kirchlichen Image. Ich weiß, worauf es ankommt, ich war früher in einer Werbeagentur tätig."

"Und wieso jetzt die Kutte?"

"Diese Agentur forderte ihre Mitarbeiter ganz extrem. Es gab nur die Arbeit, saufen durften wir nicht, kiffen durften wir nicht, und mit den Kollegen lief auch nichts. Da dachte ich mir, da kann ich doch gleich Nonne werden. Dank meiner beruflichen Erfahrungen bin ich jetzt für die Organisation tätig, die schon seit Jahrhunderten die öffentlichkeitsarbeit der Kirche managt- die Heilige Christliche Inquisition."

Wußte ich's doch: Werbung ist die Fortsetzung der Folter mit anderen Mitteln.

"Aber kommen Sie jetzt erstmal mit in die Sixtinische Kapelle. Hier finden wir eine theologische Grundlage für die Internet-Reformation der Kirche. Die letzte Restaurierung hat an der Deckenmalerei einen neuen Aspekt freigelegt: Einen Funken, der von Gottes Zeigefinger auf Adams überspringt. Und was heißt das?"

"Optische Datenübertragung. ISDN. Adam bekommt einen Internet-Anschluß."

"Genau! Für jeden Zeitgenossen sofort erkennbar. Und außerdem bezweifeln unsere Bibelforscher schon länger, daß die Inspiration der Bibel-Autoren tatsächlich wörtlich in der bisherigen Terminologie erfolgt ist. Wahrscheinlich haben die Autoren die ihnen eingegebenen Inhalte nur mithilfe der damals möglichen, spät-steinzeitlichen Terminologie dargestellt. Und deshalb fühlt sich die Organisatio Relationum Pulicae- unser neuer Name für die Inquisition- berechtigt, die Bibeltexte zielgruppenorientiert an das 21. Jahrhundert anzupassen."

"Haben Sie mal ein Beipiel?"

"Nehmen wir mal folgendes: "Der Herr ist unser Hirte, er weidet uns auf einer grünen Aue, auf daß es uns an nichts mangelt."- Dieser ganze mittelalterliche Hirten-Quatsch ist für die Zielgruppe fast schon unverständlich. Wir machen daraus marktgerecht: "Der Herr ist unser Provider. Er gibt uns eine Flatrate und vollen Service." Wir sind sehr optimistisch, daß JP, unser Papst, darauf abfährt. Wir hoffen, "The Hip Book" schon im nächsten Jahr zum Download anbieten zu können. Natürlich haben wir auch den Namen der Heiligen Schrift zielgruppenorientiert geändert. Wie finden Sie unser Konzept?"

"Ich denke, daß man von einer kompetenten Werbe-Fachkraft nichts anderes erwarten konnte. Voll marktgerecht. Ich glaube, Sie sind selig. Tschüß."

"O, danke. Möge die kostenlose Flatrate des Providers mit Ihnen sein."

Denn selig sind die, deren Prozessor eine langsame Taktfrequenz hat. Amen.

Wenig später, am Petersdom: "Gutschiguu! Nein, ist der niedlich. Und wie der guckt! Sowas Süßes!"

"Und diese kleinen Patsch-Räderchen!"

Was ist das? Ach so, zwei italienische Politessen in den Klauen des Kindchen-Schemas schäkern mit meinem Auto. Redet man so mit einer Karre, die vier Rally-Monte-Carlo-Sieger im Stammbaum hat?

Egal, bloß weg, bevor die das Auto so niedlich finden, daß sie es abschleppen.

"Du böses kleines Auto! Wie oft habe ich dir schon gesagt, daß du dich nicht immer ins Parkverbot stellen sollst! So, meine Damen, wir müssen jetzt weg. Der Kleine braucht sein Breichen."

"Was geben Sie ihm denn, und wieviel?"

"Den guten Multivitamin-Nitromethan-Brei. Drei Gläschen auf hundert Kilometer. Hier ist der Autoindustrie ein technischer Durchbruch gelungen: Das erste Drei-Gläschen-Auto der Welt. Einen schönen guten arrivederci auch!"

Ich weiß wirklich nicht, warum immer die Vorderräder durchdrehen.

18.August, irgendwo zwischen Rom und Sizilien: Erleuchtung! Ich habe einen von diesen blaulicht-gekrönten Pizza-Alfas etwas langsamer überholt und gesehen, daß da gar nicht "Pizzeria Stradale" draufsteht, sondern "Polizia Stradale".

19.August, Sizilien: Der Mini hatte beim Beschleunigen über 180 Km/h ein leichtes Klingeln hören lassen. Ich habe daraufhin tatsächlich einmal ein Gläschchen Multivitamin-Nitromethan-Brei zusammengerührt und dem Auto einen Löffel eingeflößt; das hat aber nicht geholfen. Im Gläschen blubbert es, oben scheidet sich eine leicht moussierende, gelbliche Flüssigkeit ab. Bäh. Ich deponiere das Gläschen diskret unter einem fies aussehenden schwarzen Cadillac, in dessen Schatten ich den Mini geparkt habe. Ich befinde mich auf dem weitläufigen Anwesen meines Studienkollegen Waldemar Mackiavelli, das man stilistisch als typisches Beispiel eines mediterranen Neo-Protz bezeichnen kann und das eigentlich eher nach Hollywod paßt. Auch Waldemar ist ein Produkt der erbarmungsosen informationstechnologischen Kader-Schmiede des Alfred Bommel. Für das Interview zum Thema "Wohin geht das Internet? Der Cyberspace-des Wahnsinns fette Beute?" hat er mir interessante Statements über Organisations-Strukturen des Internets versprochen.

Ich verstehe allerdings nicht, warum er unbedingt mit "Don Waldemar" angesprochen werden will.

"So, Don Waldemar, denn laß mal ab!"

"Ich als Oberhaupt einer bedeutenden Familie bin der Ansicht, daß dem Internet bisher von meiner Gesellschaftsschicht viel zu wenig Beachtung geschenkt worden ist. Das hat zu einer fast unerträglichen Anarchie geführt. Es gibt im Internet mannigfaltige Wirtschafts-Kriminalität; es gibt Hacker, Daten- und Software-Diebstahl.

Aber das sind alles Einzeltäter. Was fehlt, ist eine kompetente, umfassende Organisationsstruktur. Und hier kann meine Familie ihre weitreichende Erfahrung einbringen. Wir werden durch bestimmte infrastrukturelle Maßnahmen dafür sorgen, daß der Internet-User in Sicherheitsfragen in Zukunft nur noch einen Ansprechpartner hat. Gegen eine geringe monatliche Schutzgebühr wird die Internet-Kriminalität auf ein sozial verträgliches Niveau gesenkt. Ein ähnliches Konzept hat sich in der Gastronomie seit Jahrhunderten bewährt."

"Und wenn jemand diese Schutzgebühr nicht bezahlen kann oder will?"

"Nun, auch zur Beseitigung derartiger bedauerlicher Mißverständnisse hat meine Organisation ihre Methoden. Selbstverständlich könnte man bei solchen Internet-Usern weder deren Datensicherheit noch einen Schutz vor Computerviren garantieren. Auch könnten User, die unsere geringe Schutzgebühr nicht aufbringen wollen, im Bereich Hardware nicht immer vor Unfällen mit Starkstrom sicher sein."

"Ich denke, damit ist ein neuer Trend im Internet definiert, der vielen Usern noch gar nicht aufgefallen ist. Ähnliche Konzepte verfolgen ja auch gewisse Organisationen in Deutschland mit dem Vorschlag einer Internet-Nutzungsgebühr."

"Wenn ihnen gar nichts mehr einfällt, klauen sie unsere Ideen. Typisch."

Ich verabschiede mich. Nächste Station: Tibet: Lama-Kloster "Zum glücklichen Zentralprozessor".

NEWS-FLASH: Abgang: Am frühen Nachmittag explodierte der Cadillac des aufstrebenden Internet-Paten Don Waldemar Mackiavelli beim Anlassen. In den Trümmern des Fahrzeugs fanden sich neben den überresten Mackiavellis Spuren von Multivitamin-Früchtebrei und eines extrem instabilen Nitroglycerin-Derivates.

Das Bundesgesundheitsministerium plant eine Vorschrift, daß Multivitamin-Brei in Zukunft mit einem Beipackzettel zu versehen ist: "Die Kombination dieses Breis mit hochoktanigen Kraftstoffen kann gesundheitsschädliche chemische Reaktionen herbeiführen. Fragen Sie Ihren Arzt oder Sprengmeister."

Die zwangsweise Einführung eines elektronischen Brei-Passes zur Minimierung von Nebenwirkungen wurde dementiert.NEWS-FLASH ENDE

21. August, Flughafen Rom: Ich steige in die Maschine nach Tibet. Den Mini habe ich mit dem Argument: "Es ist kleiner als ein Auto und quaderförmig, also ist es ein Koffer." als Gepäck aufgegeben. Ziemlich üppig fand ich allerdings den Preis für 775 Kilo übergewicht.

23. August, Tibet, somewhere on a Yak-Pfad: Die eisige Höhenluft des Himalaya und die tief ausgetretenen Yak-Pfade des tibetanischen Hochlands fordern die Leistungsreserven von Mensch und Maschine bis zum letzten. An der Vorderachse des Mini tritt bei 120 Km/h eine leichte Unwucht auf, die zum Glück bei 140 wieder verschwindet. Im Autoradio kein vernünftiger Rock-Sender. Vielleicht hätte ich Winterrreifen aufziehen sollen.

24. August, Tibet, Lama-Kloster "Zum Glücklichen Zentralprozessor": Nachdem ich mir im Drive-in des Yak-Donal-Restaurants des Klosters einen Yeti-Burger 'reingezogen habe - es sind gerade Tibetanische Wochen -, parke ich den Mini zwischen den Exponaten einer Bonsai-Ausstellung und klemme ein Schild "Bonsai car from England- do not tow!" unter den Scheibenwischer. Nächster Interviewpartner ist Fu Ji Tsu, der als Gasthörer ebenfalls an den legendären Informatik-Vorlesungen des Alfred Bommel teilgenommen hat. Nach seiner spirituellen buddhistischen Erleuchtung schuf er in diesem abgelegenen Winkel des Himalaja das erste vollcomputerisierte Lama-Kloster. Er hat sich besonders mit dem Thema "Feng-shui und Meditation im Internet" auseinandergesetzt.

"Moin, Fu!"

"Om mani padme hum!"

"Ja, grüß mir die Oma! Deine Feng-shui-Tips für meine Bude waren echt Klasse, auch wenn mich meine Nachbarn jetzt vielleicht für etwas exzentrisch halten."

"Ja, doch ein Schreibtisch direkt unterm Fenster bringt schlechtes Karma, denn das bildet ein Tor für Drachen und böse Geister."

"Aber seit ich das Schild "Drachen und böse Geister müssen draußen bleiben" ins Fenster gehängt habe, habe ich tatsächlich keine Drachen und bösen Geister mehr auf dem Schreibtisch. Es ist jedenfalls richtig, die Menschen für die Problematik des Feng-shui zu sensibilisieren; ich hatte zum Beispiel vorher von den ganzen Drachen und bösen Geistern, die da pausenlos auf den Schreibtisch geklatscht sein müssen, gar nichts gemerkt."

"Unsere religiöse Gemeinschaft vertritt die Ansicht, daß die Grundsätze des Feng-shui auch im Internet berücksichtigt werden müssen. Ein gutes Karma ist eine unerläßliche Voraussetzung für gutes Webdesign. Deshalb haben wir unser Produkt "Feng-shui Firewall 6.0" entwickelt, das jeglichen schlechten karmischen Einfluß von Webservern fern hält. Es ist für einen niedrigen fünfstelligen Betrag demnächst im guten Fachhandel erhältlich. Natürlich ist die Verwendung von Hardware nur ein übergangsstadium. Wir experimentieren zur Zeit mit biologischen Substanzen auf Hanf-Basis, nach deren Einnahme wir den Cyberspace auch ohne Zuhilfenahme von Hardware allein durch Meditation erreichen wollen."

"Und- klappts?"

"Nein, aber spätestens nachdem wir die dritte Tüte geraucht haben, macht uns das gar nichts mehr aus. Wir forschen weiter! Om!"

"Tune in, turn out. Where's Hanf, there's cyberspace! Tschüß!"

"Möge gutes Karma dich begleiten. Aber vergiß nicht: Bergab immer im selben Gang wie Bergauf!" Klar. Im Vierten. Mehr hat das Auto eh nicht.

NACHTRAG: Einige Leute haben angefragt, was eigentlich ein Yak ist. Das Yak, in älteren zoologischen Werken auch als Tibetanischer Grunz-Ochse bezeichnet, ist ein sehr zotteliges Rind, das von den Tibetanern hauptsächlich als Transportmittel eingesetzt wird. Es besetzt also im Grunde genommen dieselbe ökologische Nische wie früher der Mercedes 200 Diesel in ländlichen Gebieten Deutschlands. Im Gegensatz zum Mercedes kann man allerdings nach seinem Ableben noch leckere Yeti-Burger, die Spezialität der tibetanischen Restaurantkette Yak Donal, daraus machen. Außerdem ergibt ein Yak-Fell ohne größere Bearbeitung nach leichtem Blondieren bis zu 15 Donald-Trump-Perücken. NACHTRAG ENDE

25. August, Tibet, auf dem Rückweg zum Flugplatz: Als logische Ergänzung zum verschneiten Himalaya kommen als nächstes Reiseziel die Hügel Irlands. Wieder mal was grünes.

27.August, Grüne Hügel von Irland: Ich setze den Mini aus einem Gebäude zurück, das ich fälschlich für eine passende Garage gehalten habe. In Wirklichkeit war es aber die Hütte von Paddy McFagues Irischem Wolfshund. Paddy ist als Sohn schottisch-irischer Eltern einer der ganz wenigen britischen Royalisten Schott- und Irlands: Seine Angewohnheit, nach dem dritten Whisky "Rule Britannia" zu singen, hat ihm bereits in vielen schottischen und irischen Pubs jede Menge Ärger eingebracht. Paddy ist ein Absolvent der Informatik-Vorlesungen von Professor Alfred Bommel, der schon ziemlich früh auf eine schiefe Bahn geraten ist: Seit er seine Prüfungszeugnisse selbst geschrieben hat, ist vor seinem Fälschungsdrang nichts mehr sicher.

"Moin Paddy!"

"God save the Queen! Na, fährst du immer noch dieses Ding: Zu groß für einen Rollschuh, zu klein für ein Auto? Aber selbst den Mini habe ich schon gefälscht. Allerdings hatte ich, als ich die Konstruktionszeichnungen für die Fälschung machte, schon eine Flasche Irish und eine Flasche Scotch Whisky intus. Ich war ziemlich fertig, als ich sah, was der Karosseriebauer nach diesen Konstruktionszeichnungen fabriziert hat: Es war einen halben Meter länger als das Original und sah aus wie eine Kreuzung zwischen einem VW Golf und einer Breitmaulkröte. Das Ding war so verquollen, daß vorne nicht einmal der Kühlergrill ein einem Stück drangepaßt hat."

"Und- verschrottet?"

"Nee, verscheuert. Da tauchten auf einmal diese Typen in Seppelhosen auf und fingen an, vor Freude zu jodeln, als sie das Ding auf meinem Hof sahen. Sie meinten, das hätte in ihrer Modellpalette noch gefehlt. Ich glaube, die wollen diese miese Fälschung tatsächlich in Umlauf bringen. Aber genauso war es ja mit den nachgemachten Käfern: Die haben sich in Amerika verkauft wie warme Semmeln."

"Sahen ja auch so aus. In Deutschland hat die Dinger niemand gekauft, weil sie "Beetle" hießen und die Leute deshalb nicht gemerkt haben, daß es Käfer sein sollten. Du bist der Ansicht, daß der Cyberspace ein neuer Tummelplatz für Fälscher ist?"

"Klar. Ich nenne das den virtuellen Realitätsverlust. Ein Beispiel war die Website des Weißen Hauses während der Amtszeit von Bill Clinton: Eine meiner besten Fälschungen. Die Leute lasen brandheiße News- über Clintons Katze. Sie konnten abstimmen, welche neue Frisur die First Lady haben sollte. Und sich Bilder von Clintons neuen Möbeln ansehen. Dann hat er sich einen Hund zugelegt. Ich habe daraufhin im Internet einen Fanclub für First Dog gegründet. Die Leute haben das tatsächlich jahrelang für die echte Website des amerikanischen Präsidenten gehalten. Und das ist der Punkt: Im Internet gibt es schon so viel Schrott, daß Seiten mit echten Inhalten geradezu unangenehm auffallen. Die Leute merken es gar nicht mehr, wenn sie verscheißert werden; sie nennen es Kult und fahren voll darauf ab."

"Was macht eigentlich dein Hund da am Computer?"

"Sir Winston? Er ist jetzt mit HTML durch und übt Flash-Programmierung. Bald kann ich das Webdesign delegieren. Im Internet merkt keiner, daß eine Seite von einem Hund ist. Im Gegenteil, Winston trifft das allgemeine intellektuelle Niveau geradezu instinktiv."

"Und was hast du in der langen Garage draußen?"

"Neues Projekt: Einen alten Toyota Corolla auf einer Streckbank. Wie schreibt man eigentlich Maybach?"

Jetzt reichts aber. Ich verabschiede mich. Als nächstes habe ich einen Termin im Europäischen Hauptquartier einer der größten Software-Firmen.

29. August, Frankreich, Paris, europäsche Zentrale eines der größten Software-Produzenten: Wer sind schon CNN, Spiegel oder Focus? Jetzt komme ich! Brisante Enthüllungen aus einem Zentrum der Macht.

Nein, ich mache kein Interview mit irgendeinem Politiker. Ich interviewe stattdessen jemanden, der wirklich etwas zu sagen hat, also einen Vertreter der High-Tech-Großindustrie. Mein ehemaliger Studienkollege Willi ist neben mir sicher der erfolgreichste Hörer der unerreichten Informatik-Vorlesungen des unvergleichlichen Professor Alfred Bommel. Er hat mit seiner Software-Firma voll abgesahnt, möchte aber aufgrund der Brisanz seiner Statements anonym bleiben und hat deshalb darum gebeten, daß ich weder den Namen seiner Firma noch seinen Nachnamen nenne.

"Moin Bill, wie gehts?"

"Schlecht, grauenhaft, einfach entsetzlich! Ich war gestern bei Woolwotz. Sie verkaufen hier in Frankrech immer noch Kaffeemaschinen ohne Internet-Anschluß und ohne mein Betriebssystem. Hat wenigstens dieses lächerliche Auto, mit dem du widerrechtlich ins Foyer gefahren bist, Internet-Anschluß?"

"Ich fragte den Portier, wo man hier parken kann. Er grinste blöde und sagte:"Rein darf jedenfalls nur, was auch durch die Tür paßt." Große Tür, kleines Auto. Kein Problem. Sehr dekorativ, wie es da auf dem Bodenmosaik, deinem Firmen-Logo, parkt. Hoffentlich macht es keinen allzugroßen Ölfleck. Bei Autos bevorzuge ich Wurzelholz-Armaturenbretter mit möglichst wenig Knöpfen. Deshalb hat es keinen Internet-Anschluß."

"Ein schwaches Bild. Falls du dieses Fahrzeug upgraden willst, weißt du, welches Betriebssystem du zu nehmen hast. Ich kämpfe jedenfalls, seit ich das Internet erfunden habe, aus purem Altruismus gegen die verbrecherischen Monopolisierungs-Bestrebungen der Produzenten der LINUX-, UNIX- und Macäppeltosh-Systeme. Diese Systeme sind im Grunde genommen total kontraproduktiv: Sie behindern die Kommunikation in einem Maße, die ich mir mit meinem System nie erlaubt hätte. Bei meinem System öffnet man ein Fenster, und die Information ist im Web. Fertig."

"Ja, einer meiner Bekannten ist das zum Beispiel mit ihrem Online-Banking-Fenster passiert."

"Schneller Informationsaustausch hatte für mich schon immer Priorität."

"Das Konto war dann auch in fünf Minuten abgeräumt."

"Nun ja, kleine Fehler passieren eben. Das sind Opfer, die man für den Fortschritt bringen muß. Schließlich arbeitet meine Programmierabteilung permanent an der Verbesserung, die man dann als Service-Pack ganz benutzerfreundlich installieren kann."

"Und das ist ja auch marketing-technisch sehr clever: Der User merkt, daß der Betriebssystem-Hersteller sich um ihn kümmert, wenn das Service-Pack beim Starten des PC jedesmal fünf Minuten lang versucht, die Fehler des Systems zu reparieren."

"Meine Programmierabteilung ist wesentlich kreativer als diese Dilettanten von der Konkurrenz!"

"Ja, eine Hälfte entdeckt stündlich neue Fehler in deinem Betriebssystem, und die andere Hälfte versucht, die alten zu beseitigen."

"Mein System schenkt den Benutzern Erfolgserlebnisse!"

"Mit Dingen, die bei den anderen Systemen von allein oder unbemerkt im Hintergrund funktionieren, verbringt man unter deinem System manches interessante Stündchen, um es zum Laufen zu kriegen. Um so intensiver ist dann natürlich das Erfolgserlebnis. In Hacker-Kreisen ist allerdings dein Webserver- und Mailing-System für schnelle Erfolgserlebnisse bekannt. Man denke nur an den Love-Letter-Virus!"

"Gibt es denn nicht zuwenig Liebe auf der Welt? Die Menschen müssen aufeinander zugehen und sich für eine globale Kommunikation öffnen. Und diese Zukunftsperspektive vertrete ich schon heute durch mein System. Deshalb: Nieder mit den unidealistischen kapitalistischen Monopolistenschweinen und ihrer Informationsblockade! Kauft mein System! Gebt Informationsfreiheit! Womit läuft eigentlich dein Webserver?"

"UNIX!"

"RAUS!"

So endete meine Sommer-Reise mit einem Hausverbot.

Ich denke, daß diese Reise viele wichtige Informationen zum Thema "Wohin geht das Internet? Der Cyberspace- des Wahnsinns fette Beute?" gebracht hat. Wahrscheinlich werde ich darüber promovieren. Sämtliche Flüge bezahlte ich nachweislich aus privaten Mitteln.

Ich hoffe, daß ich mich jetzt bei der Arbeit von meinem Urlaub erholen kann.

ENDE.

Bernd Papenfuß