Ein Denkmal: Dem unbekannten Systemprogrammierer



Von den Denkmälern für den unbekannten Soldaten in vielen europäischen Metropolen inspiriert, forderte in den 60er Jahren ein Schriftsteller das Denkmal für den unbekannten Rennfahrer, der im täglichen Straßenverkehr sein Leben riskiert, um den Menschen zu zeigen, daß sein Auto besser ist und er auch besser fahren kann als alle anderen.

Im Jahre 2000 manifestiert sich das Problem der menschlichen Geltungssucht mithilfe des Computers. Ich fordere das Denkmal für den unbekannten Systemprogrammierer! Leute, deren Väter noch im tiefergelegten VW 1500 die Straßen unsicher machten, gehen heute, ein Handy am Ohr, zu Fuß. Denn das Geld, das frühere Generationen beim Gebrauchtwagenhändler und in Sportauspüffe investierten, wird heute vom Computer-Dealer eingesackt. Und genau wie einige Väter zwei Wochen nach dem Erwerb des fast noch TüV-fähigen Sechste-Hand-Manta perfekte Rennfahrer waren, sind einige ihrer Nachkommen zwei Wochen nach dem Kauf eines ausgesonderten Büro-Computers einer pleite gegangenen Klempnerei perfekte Systemprogrammierer.

Und dann kommen sie in das EDV-Zentrum. Klar, hier stehen Rechner einer gehobenen Leistungsklasse, die von einer Vollzeit-Kraft mit Computer-Erfahrung seit 1982 - ich verzichtete damals auf einen Sportauspuff für meinen Käfer und besorgte mir stattdessen einen Computer-Bausatz - betreut werden. Natürlich sind sämtliche Systemfunktionen, die Programme und die Netzwerkanbindung der Rechner in der EDV-Zentrum im Rahmen der technischen Möglichkeiten für optimale Nutzbarkeit optimiert. Aber als neuer Stern am Himmel der Systemprogrammierer, gestärkt durch zweiwöchige Benutzung eines Apple Performa, der mit einer Raubkopie des OS 9 fast gelaufen wäre, kann man der Menschheit - oder zumindest den anderen Usern des EDV-Zentrums - ja mal zeigen, was man so drauf hat.

Beispiele gefällig? Zunächst einmal sind auf den Rechnern viel zuviel Programme. Unbekannte Systemprogrammierer scheinen der Ansicht zu sein, daß gespeicherte Software den Rechner langsamer macht - ich hörte eimal einen entsprechenden Wortschwall und konnte in diesem Fall noch dazwischengehen. Typisch übrigens auch, daß dabei nur die Icons auf der Schreibtischoberfläche gelöscht werden, weil ein unbekannter Systemprogrammierer über die Unterschiede zwischen Alias-Dateien und richtiger Software erhaben ist. Wenigstens erspart mir das die Neuinstallation: Ignoranz hat eben auch ihre positiven Seiten.

Da ich als Leiter der EDV-Zentrum der Meinung bin, daß die meisten zusätzlichen System-Tools mehr ärger als Nutzen bringen, installiere ich das Basis-System und nur die Erweiterungen, die tatsächlich gebraucht werden. Auf Icon-Rallystreifen, Menüleisten-Spoiler, Festplattentieferlegung und sonstige System-Helferlein kann meiner Meinung nach verzichtet werden. Doch der unbekannte System-Programmierer sieht das anders und erkennt unfehlbar eklatante Mißstände: Entdeckte ich doch neulich auf einem Power-Macintosh G4 mit 20GB-Festplatte die überreste einer mißglückten Installation von Disk-Doubler, wohl deswegen versucht, weil die Festplatte zu klein war. Mit simulierten 40GB hätte dieser Rechner dann genausoviel Platz gehabt wie der des unbekannten Systemprogrammierers: Der hat wahrscheinlich auf einer 2.5GB-Platte viermal Disk-Doubler installiert.

Und das Internet: Wir sind zwar drin - die Rechner hängen übers lokale Netzwerk am Breitband-Wissenschaftsnetz, mit einer Zugangsgeschwindigkeit von 2Mbit/s, 36-mal so schnell wie mit einem handelsüblichen Modem - aber wohl nicht richtig. Damit wir richtig drin sind, versuchte ein unbekannter Systemprogrammierer auf einem Rechner die gute AOL-Einwähl-Software zu installieren. Leider vergaß er, ein Telefonkabel mitzubringen. Es blieb nur das AOL-Icon. Und wir sind immer noch nicht richtig drin. Nee, nä?

Drei entzückende Beispiele aus dem Jahr 2000. Von zur Zeit etwa fünfhundert Usern sind es schätzungsweise zehn bis zwanzig, die mir mit ihrer Systemprogrammierung fast mehr Arbeit machen als alle anderen zusammen. Wie Kung-Fu-Tse sagte- ich hoffe, ich zitiere das richtig: "Wer etwas nicht weiß und den Leiter der EDV-Zentrum fragt, war kurze Zeit unwissend. Wer selber anfängt zu programmieren, ohne Ahnung zu haben, bleibt sein Leben lang doof." Diesen unbekannten Systemprogrammierern gönne ich ein Denkmal - und viele Tauben. Platsch. Nur schade, daß dabei das Denkmal das abkriegt, was eigentlch das Original verdient hat....

Bernd Papenfuß